Stromsparende Kühlschränke, Recyclingpapier, sparsame Autos, fair gehandelter Bio-Kaffee: Seit Anfang der 1990-er Jahre geistert der nachhaltige Konsum durch die Abschlusserklärungen internationaler Klima- und Nachhaltigkeitskonferenzen. Die Idee: Wenn alle sparsamere und umweltfreundlich produzierte Produkte kaufen, könnten wir Ressourcen, Umwelt und Atmosphäre schonen. Ein Vierteljahrhundert später zeigt sich: Nachhaltige Produkte boomen zwar – doch die Probleme der Konsumgesellschaft lassen sich auch mit noch so grünem Konsum nicht lösen. „Die schlechte Nachricht lautet, dass sich dieser Markterfolg nicht in sinkenden Umweltbelastungen, namentlich in sinkenden konsumbezogenen CO2-Emissionen der verschiedenen Konsumbereiche widerspiegelt“, schreibt das Umweltbundesamt in einer Marktanalyse.
Man beachte wie oft das Wort Flugreise auftaucht!
1. Das Potenzial nachhaltigen Konsums wird überschätzt.
Bei den privaten Emissionen gibt es eine enorme Bandbreite. Wer sparsam lebt, erzeugt vielleicht nur fünf Tonnen im Jahr, andere locker das Dreifache oder mehr. Wenn diese Schwergewichte dazu gebracht werden könnten, in den wichtigsten Bereichen – Wärme, Strom, Mobilität – abzuspecken, wäre viel gewonnen. Nur: keiner wird das freiwillig machen. Und schon gar nicht in allen relevanten Bereichen. Der größere Teil des enormen Potenzials wird schlicht und einfach nicht zu heben sein. In den allermeisten Fällen wird es bei Symbolhandlungen bleiben.
2. Wer energiesparende Geräte kauft, verbraucht mehr Strom.
Aus der Rebound-Forschung ist das Paradox bekannt, dass Einsparungen zu Verschwendung führen: Wer seinen Haushalt mit sparsamen LED-Lampen ausstattet, erliegt leicht der Versuchung, das Licht länger brennen zu lassen. Verbraucht ja nichts. Selbst wer disziplinierter ist, kann das bei der Stromrechnung eingesparte Geld in ein neues Auto, einen Urlaubsflug oder fossile Aktien investieren. Und so den Umweltvorteil durch die sparsamere Beleuchtung zunichtemachen.
3. Steigende Ansprüche machen Effizienzgewinne zunichte.
Grüne Produkte könnten helfen, Energie und Ressourcen zu sparen. Tun sie aber nicht – weil wir von allem immer mehr brauchen: „Die Ansprüche der Konsumentinnen und Konsumenten an Wohnraum, Ausstattung, individuelle Mobilität und Ernährung steigen seit Jahren an. Pro Kopf steigt die Wohnfläche kontinuierlich an, elektronische Geräte werden vermehrt angeschafft und häufiger genutzt, es werden längere Wege zurückgelegt, und der Fleischkonsum ist anhaltend hoch“, schreibt das Umweltbundesamt. Offenbar ist nicht nur der Konsum das Problem. Sondern auch unsere Ansprüche.
4. Umweltbewusstsein hin oder her: Wer viel verdient, schädigt die Umwelt mehr.
Eine Auswertung des Umweltbundesamts zeigt: Wer viel verdient, lebt umso mehr auf Kosten der Umwelt. Denn egal, was wir mit unserer Gehaltserhöhung tun, ob Haus- oder Autokauf, ob Flugreise oder Elektronik: Jede Umwandlung von Geld in Dinge oder Dienstleistungen wird sich klima- und umweltschädlich auswirken. Im Umkehrschluss heißt das: Wenn die Deutschen im Schnitt weniger Geld zur Verfügung hätten, wäre der Umwelt mehr geholfen als mit allen Nachhaltigkeitsstrategien und Klimaverpflichtungen der Bundesregierung zusammen. Einen ernüchternden Beleg für den Zusammenhang von Einkommen und umweltschädlichem Verhalten erbrachte eine Umfrage unter Grünen-Wählern: Von allen Parteianhängern fliegen sie am meisten. Weil sie überdurchschnittlich viel Geld verdienen.
5. Kompensationssysteme machen umweltschädliches Verhalten moralisch erschwinglich.
Fliegen war mal verpönt – als diejenige Verhaltensweise, mit der wir in kürzester Zeit am meisten Schaden für das Klima anrichten können. Seit wir bei atmosfair und Co. die Schweinerei vermeintlich wiedergutmachen können, ist fliegen moralisch wieder erschwinglich – und nur unmerklich teurer: Günstig jetten mit gutem Gefühl. Begrenzt wird der Flugverkehr dadurch nicht. Im Gegenteil: Bis 2035 könnte sich nach Berechnungen von Expertender Flugverkehr in Europa – und die Emissionen daraus – verdoppeln.
6. Echte grüne Produkte sind immer schwerer zu erkennen.
Seit ruchbar wurde, dass unser Konsum der Umwelt schadet, versuchen Hersteller, den Absatz ihrer Produkte mit grünen Versprechen anzukurbeln. Während Bio-Siegel und andere Label zumindest handfeste Mindeststandards garantieren, ist die Stichhaltigkeit von labbrigen Nachhaltigkeitsversprechen à la „Wir tun was für die Umwelt“ für den Konsumenten meist nicht zu durchschauen. Ein Beispiel: Wer „Ökostrom“ von einem der großen Versorger bezieht, tut nicht unbedingt etwas für die Energiewende. Denn viele Anbieter verschieben nur den Anteil an billiger Wasserkraft, den sie ohnehin beziehen, auf das Öko-Kundenkonto. Andere Kunden erhalten dadurch anteilig mehr Atom- und Kohlestrom. Für die Umwelt gewonnen ist damit nichts.
7. Umweltbewusste Konsumenten werden mehr. Die anderen auch.
Es gibt immer mehr aufgeklärte Konsumenten, die wirklich was für die Umwelt tun wollen. Gleichzeitig gibt es immer mehr Egal- und Hauptsache-billig-Konsumenten. Unter dem Strich verliert die Umwelt. Es gibt immer mehr Radler, immer mehr Führerschein-Verweigerer, autolose Menschen und Carsharer – aber auch immer mehr schwere Autos auf immer mehr Straßen, immer mehr Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese und Flugreisen in ferne Länder.
8. Die nachhaltige Produktwelt wird immer supermarktiger.
Bioläden sehen heute aus wie ganz normale Supermärkte: Regale voll mit überflüssigen Putz- und Waschmitteln, natürlich alle super biologisch abbaubar, Kartoffeln aus Ägypten, Avocado aus Peru, regalweise Kaffee und Schokolade aus Südamerika oder Afrika. So macht bio Spaß, so lässt es sich herrlich unbeschwert shoppen. Wie früher eben. Blöd nur, dass ein wachsender Teil dieses Sortiments mittlerweile nicht mehr aus Deutschland stammt, dass wir für unsere Produkte immer mehr Flächen und Wasser in ärmeren Ländern beanspruchen.
9. Freundliche Einladungen zum Ausprobieren wirken genauso wenig wie Moralpredigten.
10. Nachhaltigkeit ja – aber bitte nur, wenn sie nicht wehtut.
Im Schnitt ist jede/r Deutsche für jährlich zwölf Tonnen Klimagas-Emissionen verantwortlich. Global verantwortbar wäre: höchstens eine. Da kommen wir mit einem neuen A+++-Kühlschrank, einem Elektroauto, einer hippen Solar-Taschenlampe und einem bio-fairen Kaffee im Mehrwegbecher nicht ganz hin. Wer es mit der Nachhaltigkeit ernst meint, muss bereit sein, sein Leben zu ändern. Statt niedrigschwellige „Einfach-Anfangen!“-Angebote an notorische Vielkonsumierer zu machen, sollten Politiker, Umweltbewegte und Medienmenschen Tacheles reden: Eine Tonne, das geht. Aber es wird richtig wehtun!
11. Falsche Vergleiche sollen den „nachhaltigen“ Konsum ankurbeln
12. Solange die Preise nicht die Wahrheit sagen, wird die Produktion umweltschädlich bleiben.
Am Ende entscheidet immer der Preis. Auch wenn viele Konsumenten sich gegen die Verlockung stemmen, zum billigeren und umweltschädlichen Produkt zu greifen: Hier muss die Politik eingreifen. Ihre Aufgabe ist es, im Sinne von Nachhaltigkeit und Tierschutz dafür zu sorgen, dass die wahren (Umwelt-)Kosten der Billigproduktion in den Verkaufspreis einfließen. Wenn im Preis von Fleisch alle Klima- und Umweltschäden enthalten wären (vom Tierleid ganz zu schweigen), wäre mit einem Schlag ein riesiger Posten unserer ernährungsbedingten Emissionen erledigt.
13. Konsumenten konsumieren. Politik machen müssen Politiker.
Die Debatte, ob und inwiefern Konsum auch politisch ist, ist so alt wie die Idee des nachhaltigen Konsums. Aber es hilft nichts: Wir werden mit dem Kassenzettel keine drastischen Geschwindigkeitsbegrenzungen, kein Straßenbau-Moratorium erwirken, keine CO2-Steuer einführen oder gar Emissions-Budgets für jeden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Wind- und Sonnenstrom zum Durchbruch verholfen hat, ist nicht das Ergebnis einer Konsumenten-Petition mit dem Rechnungsbeleg. Sondern politische Rahmensetzung.
14. Die Idee des nachhaltigen Konsums verkennt das Wesen der Konsumgesellschaft.