Auf der Suche nach dem verlorenen Sinn

Unsere Fernreise-Begeisterung erzählt viel – über scheiternde Nachhaltigkeit, falsche Freiheitskonzepte und groteske Glückssuche in einer Welt ohne vorgegebenen Sinn.

Paradox: Die Deutschen geben viel Geld für Reisen aus, besonders für Fernreisen – zugleich gilt vielen der Umweltschutz als sehr wichtig. Felix Ekardt, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin sowie Professor an der Uni Rostock, schreibt darüber, warum es uns so schwer fällt, unser widersprüchliches Verhalten zu ändern, und wie es doch gelingen könnte.

http://www.zeit.de/wirtschaft/2018-04/fernreisen-tourismus-umweltschutz-reisen-nachhaltigkeit-sinnsuche

Wir Menschen erklären Fernreisen zum größtmöglichen Vergnügen. Der Trip nach Feuerland, Malaysia, Neuseeland oder auf die Malediven ist das größte Ereignis schlechthin. Der Wochenendausflug nach Florenz oder Barcelona gilt als Selbstverständlichkeit.

Zugleich ist die Flugreise ökologisch so ziemlich das größte Desaster, das einzelne Personen anrichten können. Insbesondere riesige Klimagasemissionen fallen an, einschließlich der verheerenden Folgewirkungen des Klimawandels für Ökosysteme und Artenvielfalt. Fluglärm und Luftschadstoffe kommen noch oben drauf, mit tödlichen Folgen für andere Menschen – und auf lange Sicht womöglich für die Menschheit insgesamt.

Will man die globale Erwärmung gemäß dem Paris-Abkommen auf unter zwei Grad begrenzen, müssen die Emissionen in allen Sektoren – Verkehr, Energieversorgung, Landwirtschaft – weltweit in ein bis zwei Jahrzehnten auf Null sinken. Neben technischem Wandel verlangt das auch neue Lebensstile. Ständig durch die Weltgeschichte zu gondeln, ist damit schlicht nicht vereinbar; und doch sind gerade Ökos oft große Vielflieger, denn wer politisch interessiert und gebildet ist, ist oft auch weltläufig eingestellt und recht wohlhabend. Das paradoxe Ergebnis sind dann beispielsweise junge Leute, die jedes Gramm Plastik und jede Kilowattstunde Strom sparen, aber doch gerne mal nach Feuerland zum Wandern fliegen oder mal schnell bei alten Erasmus-Freunden in Spanien vorbeischauen.

Die Verhaltensforschung weiß freilich schon lange: Faktenwissen und Werthaltungen beeinflussen unser Verhalten nur begrenzt. Hinzu kommen ganz rationales Eigennutzenkalkül und Emotionen: Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung, die Schwierigkeit, mir Klimatote vorzustellen, wenn ich gerade in den Flieger zu meiner Traumdestination steige. Zudem stecken wir alle in den Normalitätsvorstellungen einer fossil getriebenen Welt fest, zu der eben auch Flugreisen gehören. Meine Facebook-Freunde waren schließlich auch alle schon in Südostasien, und die Kollegen im Büro doch auch!

Könnte man sich die ganze Diskussion nicht trotzdem sparen indem man die Fliegerei klimaneutral gestaltet, etwa durch Aufforstungen, die Treibhausgase binden? Selbst wenn solche Kompensationsprojekte gut gemacht sind: Sie können das Problem nicht lösen. Denn wenn wir die Emissionen in wenigen Jahren global und in sämtlichen Sektoren auf Null senken wollen, brauchen wir die Kompensationen aus Wald- oder Moorbewirtschaftung anderweitig: zum Ausgleich lebenswichtiger Emissionen aus unserer Ernährung – und nicht, um unseren Luxuskonsum aufrechtzuerhalten.

Emissionsfreies Fliegen wäre zwar denkbar, aber die Batterien sind schlicht zu schwer dafür.

Es hilft alles nichts: Wir werden uns von der Vielfliegerei verabschieden müssen. Dabei bringt es nichts, zu warten, bis die Politik das Problem angeht – etwa indem sie die fossilen Brennstoffe massiv verteuert. Aber auch eine neue Politik kommt ja nicht von selbst. Wir müssten sie schon wählen, oder auf der Straße, in den Parteien und in den Medien lautstark fordern.

Eine neue Politik müsste also genau von den gleichen Menschen erkämpft werden, die bisher keine Lust haben, weniger zu fliegen. Die Frage, ob der Umweltschutz an den Verbrauchern, an bösen Tourismus-Konzernen oder am fehlenden Willen der Politiker scheitert, beschreibt deshalb ein unlösbares Henne-Ei-Problem. Und auch den ganzen Kapitalismus, der uns die Fernreise so schmackhaft macht, gäbe es ohne unsere Kaufentscheidungen nicht.

Wenn wir das Klima schützen wollen, müssen wir alle damit beginnen.

Die gute Nachricht aber ist: Manchmal kann bewusster Verzicht besonders glücklich machen. Ein- oder zweimal im Leben in einem Sabbatical, gerne auch auf dem Landweg, wirklich etwas von der Welt zu sehen, kann weit eindrucksvoller sein als der ganze Reisestress, den wir uns heute antun – und so viele wunderbare, auf dem Landweg erreichbare Reiseziele wie in Europa findet man kaum irgendwo auf der Welt. Erlebnisse winken nicht nur in Fernost. Und mit der Völkerverständigung können wir auch ganz konkret in Europa beginnen. Wir müssen es sogar. Sonst wird schon die EU keine Zukunft haben.

Also: wer nach Südostasien will, gerne einmal im Jahr 3 Monate als Sabbatical. Und sonst: fahren wir mit dem Zug z.B. auf den Balkan, da gibt es viel zu sehen, und die Wirtschaft, die lokale Bevölkerung, und damit der europäische Frieden würden auch davon profitieren!

Wie wär’s z.B. damit:

https://www.airbnb.com/rooms/2053338?location=Bar%2C%20Montenegro&s=U4_SORbQ

„Ich werde grün.“

Man kann sich sehr sehr sehr viel Arbeit damit machen „grün“ zu werden.

https://www.abendblatt.de/themen/ich-werde-gruen/

Aber am Ende zählen nur 5 Punkte:

  • Weniger Fliegen. Spart über 3 Tonnen CO2 wenn man einen Interkontinentalflug auslässt. Spart 500kg bis zu 1 Tonnen wenn man einen Flug innerhalb Europas auslässt.
  • Weniger Autofahren. Spart bei Pendlern ca. 2 Tonnen im Jahr.
  • Ökostrom beziehen. Spart bis zu 1 Tonne im Jahr.
  • Wohnung dämmen. Spart 1-2 Tonnen im Jahr.
  • Weniger Fleisch essen. Spart ca. 500kg im Jahr.

Fazit: Am leichtesten spart man bei den dicken Brocken – einfach mal ein Jahr den Malediven-Urlaub auslassen und stattdessen an Mittelmehr.

Am besten mit dem Zug!

Muss es immer so weit weg sein?

Ist doch eh alles das gleiche…

Brasilien? Kalifornien? Bretagne? Italien? Haha: „Provence“? Total 70er-Jahre! Fährt heute keiner mehr hin.

Heute fährt man nach Thailand (geht ja eigentlich seit „The Beach“ immer!), Sri Lanka (fahren neuerdings alle hin, muss also gut sein) und in den Iran (hat irgendwie sowas Subversives).

Ich war noch nie in Thailand, Sri Lanka oder dem Iran. Demnächst hatte ich es auch nicht vor. Aber falls ich es eines Tages doch vorhabe, muss ich mich nicht mehr mit Reiseführern eindecken. Ich war nämlich schon oft in Cafés. Und egal in welches Café man geht, am Nebentisch sitzt immer irgendeine WG-Bewohnerin, die irgendeinem WG-Bewohner von Thailand, Sri Lanka oder dem Iran erzählt.

https://www.jetzt.de/meine-theorie/wohin-soll-ich-in-den-urlaub-fahren

Passend dazu:

Warum wir aufhören sollten, Reisende zu vergöttern

Und zum Thema Nachtzüge natürlich auch was:

Denn sich mit Wildfremden einen winzigen Liegewagen zu teilen, kann eine tolle Erfahrung sein

Flugprotest aus klassischen Gründen

Ich schreibe hier viel über Klimapolitik, aber man darf nicht vergessen, Proteste gegen den Flugverkehr gibt es schon länger- jedesmal, wenn irgendwo eine neue Startbahn gebaut werden soll. Also geht es heute nicht ums Weltklima, sondern um Fluglärm und Startbahnen, ganz lokal, ganz konkret:

http://www.berndsenf.de/pdf/Fliegen-Flyer-ROBIN_WOOD-Leseversion-2.pdf

Die Vorschläge von Robin Wood sind aber die gleichen, die ich auch gerne mache. Sicher, manchmal ist ein Flug unumgänglich, manchmal gibt es gute Gründe zu fliegen… aber:

  • Kurzstrecken lassen sich wirklich vermeiden! Keine Strecken mehr im Flugzeug die im Zug weniger als 6 Stunden dauern!
  • Wenn’s einen Nachtzug gibt, gehen auch Strecken wie z.B. München-Rom bequem im Zug.
  • Wenn schon Flugreisen: dann bitte nur einmal im Jahr in die Ferne und dann gleich drei Wochen bleiben – statt dreimal im Jahr für jeweils eine Woche die Reise zu machen! Reiseanlässe bündeln!

Und für die Politik gilt:

  • Umweltschädliche Subventionen abbauen (Kerosinsteuer einführen, Mehrwertsteuer auf Flugtickets erheben, unwirtschaftliche Regionalflughäfen schließen).
  • Klimafreundliche Infrastruktur entschlossen fördern.

Budapest/Wien – Berlin kommt zurück!

Nachdem Flixtrain jetzt eine Nachtzugverbindung von Lörrach & Freiburg nach Hamburg (leider je nach Saison nur an manchen Wochentagen) ins Programm genommen hat, gibt es weitere gute Neuigkeiten:

2019 kommt der Nachtzug Budapest/Wien-Berlin zurück – mit ungewöhnlicher Streckenführung über Polen (das legt die Vermutung nahe, dass der entscheidende Punkt tatsächlich ist, bei den überhöhten Trassenentgelten in Deutschland zu sparen): via Rzepin, Zielona Góra, Głogów, Opole, Kędzierzyn-Koźle, Racibórz und Chałupki.

https://www.zugreiseblog.de/nachtzug-berlin-wien/

Vermutlicher Fahrplan:

Nightjet 457 Nightjet 456
Berlin Hbf 18:40 Wien Hbf 22:10
Wroclaw 23:00 Wroclaw 05:09
Wien Hbf 06:49 Berlin Hbf 09:15

Mittlerweile ist auch bestätigt: der Zug wird auch einen Zugteil Berlin-Budapest haben!

Der Holland-Wien-Express – heute: EN 420

Der Wagen rollt sanft, fast geräuschlos, die beiden Betten sind frisch bezogen, in einer Halterung stehen zwei Wasserflaschen. Das WC mit Dusche ist blitzblank, über einem Bügel hängen weiße Handtücher. Ulrich findet über der Tür einen Temperaturregler und spielt daran herum. Dann breitet er auf dem Bett seinen Kulturbeutel aus: Zahnputzzeug, Kamm, Deo, Klopapier, Einwegklobrillen, Feuchttücher und Sagrotan. Dinge, die man vor 30 Jahren in internationalen Kurswagen gut gebrauchen konnte. Dinge, die in einem modernen Nachtzug aber so überflüssig sind wie sein eigenes Fass Bier mit in die Kneipe zu schleppen.

DER WESTEN berichtet von Nostalgie, Reiseromantik, und wie sich das Nachtzugreisen verändert hat.

https://www.derwesten.de/reise/reisen-mit-der-bahn-nostalgie-im-nachtzug-id10288289.html

Eine nostalgische Liebeserklärung an die Nachtzüge/Die Zukunft!

Die NZZ schreibt über die abenteuerlichen Nachtzugfahrten, die mittlerweile Vergangenheit sind – sei es, weil es kaum noch Nachtzüge gibt, oder weil die ÖBB sich daran gemacht haben das Reiseerlebnis bei den verbleibenden Zügen allmählich etwas aufzupolieren…

Die erste Klasse (Waggons-lits) mit ihren leinenbezogenen Doppel- oder gar Einzelbetten, Daunendecken, Toiletten, persönlichem Service, manchmal sogar Duschen, war ein in unerreichbarer Ferne liegendes Gerücht.

Interessanter, da auf die Zukunft gerichtet, der folgende Artikel:

Der Internationale Eisenbahnverband (UIC) hat deshalb die Idee lanciert, Nachtzüge auf den Hochgeschwindigkeitsstrecken fahren zu lassen, und dazu vor einiger Zeit eine Studie erstellt.

Mit höheren Geschwindigkeiten könnten Nachtzüge erheblich grössere Entfernungen abdecken. Wenn man davon ausgeht, dass Reisen über Nacht nicht länger als 12 Stunden dauern sollten, würde sich der Radius damit von den heute rund 1200 auf 2000 Kilometer erweitern. Auf den Hochgeschwindigkeitsstrecken sind Tempi bis 300 Kilometer pro Stunde möglich. Im Schnitt wäre der Nachtzug mit 180 Kilometer pro Stunde unterwegs.

Mit solchen Tempi liegen Städte wie London, Madrid und Berlin sowie Rom und Amsterdam in Reichweite von Nachtzügen.

Das grösste Hemmnis liegt bei den Trassenpreisen, also bei jener Gebühr, die Bahnunternehmen für die Nutzung der Infrastruktur bezahlen müssen. Weil auf Nachtzügen – im Unterschied zu Tagesverbindungen – der Platz immer nur einmal verkauft werden kann, fallen diese Gebühren viel stärker ins Gewicht. Sie machen bis zu 60 Prozent der gesamten Kosten aus. Unter diesen Voraussetzungen seien Hochgeschwindigkeits-Nachtzüge gegenüber dem Flugzeug nicht konkurrenzfähig, sagt Thomas Sauter-Servaes, der die Branche auch aus früherer Tätigkeit bei der Deutschen Bahn kennt. Es sei staatliche Unterstützung notwendig, um den dominierenden Kostenfaktor Trassenpreis einzudämmen.

Eine Alternative wäre mehr Kostenwahrheit, indem eine Kerosinsteuer oder eine CO2-Abgabe für die Luftfahrt eingeführt würde. Dies sei jedoch im heutigen politischen Umfeld chancenlos, sagt Sauter-Servaes. Ein erster Schritt in Richtung gleich lange Spiesse wäre nur schon gemacht, wenn internationale Bahnreisen bei der Mehrwertsteuer gleich behandelt würden wie Flüge.

https://www.nzz.ch/schweiz/aktuelle-themen/nachtzuege-mit-hochgeschwindigkeit-durch-die-nacht-ld.12795

Mit dem Nachtzug in den Nordkaukasus

Das ist mal ein wirklich ungewöhnliches Reiseziel: Mit dem aussergewöhnlichen, brandneuen, modernen Doppelstock-Nachtzug nach Georgien, Nordossetien…

Spektakuläre Berge, Bergflüsse, weitab der westlichen Touristenströme.

(Ja, in diesem Blog wird auch geflogen. Aber wie man nach Moskau kommt, das weiss ja jeder, oder nicht? Talgo-Züge mehrmals die Woche von Berlin, oder einmal die Woche im Direktzug Nizza – Wien – Moskau, oder eben mit Umsteigen… ansonsten auch mit der Fähre übers Schwarze Meer direkt nach Georgien (Odessa-Batumi oder Burgas-Batumi) ohne Umweg über Moskau, oder einmal quer durch die Türkei…)