Unsere Fernreise-Begeisterung erzählt viel – über scheiternde Nachhaltigkeit, falsche Freiheitskonzepte und groteske Glückssuche in einer Welt ohne vorgegebenen Sinn.
Paradox: Die Deutschen geben viel Geld für Reisen aus, besonders für Fernreisen – zugleich gilt vielen der Umweltschutz als sehr wichtig. Felix Ekardt, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin sowie Professor an der Uni Rostock, schreibt darüber, warum es uns so schwer fällt, unser widersprüchliches Verhalten zu ändern, und wie es doch gelingen könnte.
Wir Menschen erklären Fernreisen zum größtmöglichen Vergnügen. Der Trip nach Feuerland, Malaysia, Neuseeland oder auf die Malediven ist das größte Ereignis schlechthin. Der Wochenendausflug nach Florenz oder Barcelona gilt als Selbstverständlichkeit.
Zugleich ist die Flugreise ökologisch so ziemlich das größte Desaster, das einzelne Personen anrichten können. Insbesondere riesige Klimagasemissionen fallen an, einschließlich der verheerenden Folgewirkungen des Klimawandels für Ökosysteme und Artenvielfalt. Fluglärm und Luftschadstoffe kommen noch oben drauf, mit tödlichen Folgen für andere Menschen – und auf lange Sicht womöglich für die Menschheit insgesamt.
Will man die globale Erwärmung gemäß dem Paris-Abkommen auf unter zwei Grad begrenzen, müssen die Emissionen in allen Sektoren – Verkehr, Energieversorgung, Landwirtschaft – weltweit in ein bis zwei Jahrzehnten auf Null sinken. Neben technischem Wandel verlangt das auch neue Lebensstile. Ständig durch die Weltgeschichte zu gondeln, ist damit schlicht nicht vereinbar; und doch sind gerade Ökos oft große Vielflieger, denn wer politisch interessiert und gebildet ist, ist oft auch weltläufig eingestellt und recht wohlhabend. Das paradoxe Ergebnis sind dann beispielsweise junge Leute, die jedes Gramm Plastik und jede Kilowattstunde Strom sparen, aber doch gerne mal nach Feuerland zum Wandern fliegen oder mal schnell bei alten Erasmus-Freunden in Spanien vorbeischauen.
Die Verhaltensforschung weiß freilich schon lange: Faktenwissen und Werthaltungen beeinflussen unser Verhalten nur begrenzt. Hinzu kommen ganz rationales Eigennutzenkalkül und Emotionen: Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung, die Schwierigkeit, mir Klimatote vorzustellen, wenn ich gerade in den Flieger zu meiner Traumdestination steige. Zudem stecken wir alle in den Normalitätsvorstellungen einer fossil getriebenen Welt fest, zu der eben auch Flugreisen gehören. Meine Facebook-Freunde waren schließlich auch alle schon in Südostasien, und die Kollegen im Büro doch auch!
Könnte man sich die ganze Diskussion nicht trotzdem sparen indem man die Fliegerei klimaneutral gestaltet, etwa durch Aufforstungen, die Treibhausgase binden? Selbst wenn solche Kompensationsprojekte gut gemacht sind: Sie können das Problem nicht lösen. Denn wenn wir die Emissionen in wenigen Jahren global und in sämtlichen Sektoren auf Null senken wollen, brauchen wir die Kompensationen aus Wald- oder Moorbewirtschaftung anderweitig: zum Ausgleich lebenswichtiger Emissionen aus unserer Ernährung – und nicht, um unseren Luxuskonsum aufrechtzuerhalten.
Emissionsfreies Fliegen wäre zwar denkbar, aber die Batterien sind schlicht zu schwer dafür.
Es hilft alles nichts: Wir werden uns von der Vielfliegerei verabschieden müssen. Dabei bringt es nichts, zu warten, bis die Politik das Problem angeht – etwa indem sie die fossilen Brennstoffe massiv verteuert. Aber auch eine neue Politik kommt ja nicht von selbst. Wir müssten sie schon wählen, oder auf der Straße, in den Parteien und in den Medien lautstark fordern.
Eine neue Politik müsste also genau von den gleichen Menschen erkämpft werden, die bisher keine Lust haben, weniger zu fliegen. Die Frage, ob der Umweltschutz an den Verbrauchern, an bösen Tourismus-Konzernen oder am fehlenden Willen der Politiker scheitert, beschreibt deshalb ein unlösbares Henne-Ei-Problem. Und auch den ganzen Kapitalismus, der uns die Fernreise so schmackhaft macht, gäbe es ohne unsere Kaufentscheidungen nicht.
Wenn wir das Klima schützen wollen, müssen wir alle damit beginnen.
Die gute Nachricht aber ist: Manchmal kann bewusster Verzicht besonders glücklich machen. Ein- oder zweimal im Leben in einem Sabbatical, gerne auch auf dem Landweg, wirklich etwas von der Welt zu sehen, kann weit eindrucksvoller sein als der ganze Reisestress, den wir uns heute antun – und so viele wunderbare, auf dem Landweg erreichbare Reiseziele wie in Europa findet man kaum irgendwo auf der Welt. Erlebnisse winken nicht nur in Fernost. Und mit der Völkerverständigung können wir auch ganz konkret in Europa beginnen. Wir müssen es sogar. Sonst wird schon die EU keine Zukunft haben.
Also: wer nach Südostasien will, gerne einmal im Jahr 3 Monate als Sabbatical. Und sonst: fahren wir mit dem Zug z.B. auf den Balkan, da gibt es viel zu sehen, und die Wirtschaft, die lokale Bevölkerung, und damit der europäische Frieden würden auch davon profitieren!
Wie wär’s z.B. damit:
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